Meine Reden im Abgeordnetenhaus

Ein Zaun um den Görli schafft keine Sicherheit! Genauso wenig wie Präventivhaft, Bodycams und Taser. Es braucht soziale Lösungen und Geld dafür statt immer mehr Repression!

Redebeitrag zum von CDU und SPD eingebrachten „Gesetz zur Änderung des Allgemeinen Sicherheits- und Ordnungsgesetzes“. – 1. Lesung

 19.10.2023

„Der Taser ist nicht der Heilsbringer, für den ihn viele halten. Sondern gefährlich und potentiell tödlich. Das muss allen klar sein, die den Einsatz fordern.“

Abschließender Redebeitrag zum Antrag der AfD-Fraktion zum „Gesetz zur Änderung des Allgemeinen Gesetzes zum Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung in Berlin“ – 1. LesungAbschließender Redebeitrag zum Antrag der AfD-Fraktion zum „Gesetz zur Änderung des Allgemeinen Gesetzes zum Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung in Berlin“ – 1. Lesung

 

15.06.2023

 

Redebeitrag zum AfD-Antrag „Berlin endlich sicherer machen!“

25.05.2023

 

Transkript

Niklas Schrader (LINKE):

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Nach so vielen Jahren, in denen ich hier in diesem Haus die Innenpolitik der CDU miterleben durfte, ist mir eins klargeworden: Es gibt so eine Parallelwelt, in der die CDU lebt; in der es Gut und Böse gibt, und dazwischen gibt es eine quasi unfehlbare Polizei, die man tunlichst nicht kritisiert, die immer besonnen, aber mit der nötigen Härte handelt und das auch stets korrekt, und deswegen sollte man ihr möglichst viele Einsatzmittel geben.

[Beifall von Frank Balzer (CDU)]

Es ist ein bisschen so wie die Bullerbü-Welt bei den Grü- nen – sorry, liebe Grüne, war nicht böse gemeint; ich fand den Vergleich ganz witzig –.

[Heiterkeit bei der CDU und der FDP – Beifall bei der FDP]

So ist auch die Welt der CDU beim Taser: Da macht ein böser Mensch Probleme, dann kommt die Polizei, dann werden die Probleme und der Mensch niedergestreckt – Fall gelöst, alle glücklich. Aber wenn wir hier wirklich ernsthaft über das Thema diskutieren wollen, muss ich Ihnen schon sagen: So einfach ist die Welt nicht, und das, was Sie hier darstellen, Herr Balzer, hat mit der Wirk- lichkeit nicht viel zu tun.

[Beifall von Carsten Schatz (LINKE)]

Schauen wir uns das doch mal an. Der Probelauf in Berlin – das ist eigentlich schon gesagt worden – hat nur sehr wenige Fälle: 15, und da sind auch noch die Androhun- gen dabei. Deshalb wird es schwierig, daraus seriöse Schlüsse zu ziehen, auch wahrscheinlich bis Ende des Jahres. Deshalb muss man sich eben auch die Erfahrun- gen mit dem Taser aus anderen Bundesländern und auch außerhalb von Deutschland anschauen. Da sieht es schon weniger harmlos aus. Allein in Deutschland gab es in den vergangenen drei Jahren sechs Todesfälle im Zusammen- hang mit dem Taser. Auch in Berlin gab es schon mal einen: 2005 bei einem SEK-Einsatz ist auch jemand um- gekommen. Kreislaufstillstand, Herzinfarkt, Organversa- gen – das können so die Folgen sein, vor allen Dingen, wenn es Vorerkrankungen gibt, wenn es Konsum von Drogen gab oder Einfluss von Medikamenten. Das kommt vor, und das sind alles Dinge, von denen die Poli- zei im konkreten Einsatz, in der Situation in der Regel nichts weiß. Und da muss ich schon sagen: Der Taser ist kein harmloses Einsatzmittel, sondern das ist eine gefähr- liche Waffe, und das muss allen bewusst sein, die hier diesen Einsatz fordern. Ich finde es schon bezeichnend, dass die CDU das hier noch nicht mal erwähnt hat.

[Beifall bei der LINKEN und den GRÜNEN – Beifall von Tom Schreiber (SPD)]

Sie setzen ja auch noch einen drauf: Sie haben in Ihrem Gesetzentwurf den Taser auf eine Stufe mit dem Schlag- stock gestellt. Damit sinkt die Einsatzschwelle noch wei- ter. Kollege Franco hat es schon gesagt: Sie konterkarie- ren damit Ihr eigenes Ziel. Ich finde es unverantwortlich, das so vorzuschlagen. Das ist verharmlosend. Der Taser – auch das ist ein Irrglaube – führt auch nicht zu weniger Schusswaffengebrauch durch die Polizei. Das sehen wir auch in den USA; das wird dort ja relativ flächendeckend eingesetzt. In den letzten 20 Jahren, hat die Nachrichten- agentur Reuters zusammengefasst, gab es über 1 000 Todesfälle im Zusammenhang mit dem Taser.

In den Niederlanden hat ein Testlauf ergeben, dass der Taser mit der Zeit auch in vielen Situationen genutzt wird, die keinen Schusswaffengebrauch gerechtfertigt hätten, und oft auch gegen Unbewaffnete eingesetzt wird oder sogar gegen Menschen, die schon unter Kontrolle waren. Es besteht also durchaus die Gefahr, dass ein Gewöhnungseffekt eintritt, die Hemmschwelle immer weiter sinkt. Das ist ein weiterer Grund, warum wir sa- gen: Wir können uns diesen Probelauf in Berlin gerne anschauen, wir können gerne darüber diskutieren, auch über Rechtsgrundlagen; aber diese Fakten aus den inter- nationalen Erfahrungen können wir hier nicht ignorieren, die müssen mit auf den Tisch.

[Beifall bei der LINKEN und den GRÜNEN]

Was beim Berliner Probelauf nicht erhoben wird, ist die Frage, ob die Situationen von der Polizei nicht auch an- ders hätten gelöst werden können. – Herr Jotzo, Sie haben ja behauptet, das zu wissen. Da muss ich Ihnen wider- sprechen. – Fast immer geht es um Menschen, die sich in einem psychischen Ausnahmezustand befinden: psychi- sche Erkrankungen, Drogenkonsum und Ähnliches. Und obwohl jede Polizeidienstkraft in der Ausbildung lernt, dass das Wort die wichtigste Waffe ist – das ist völlig richtig, das stimmt ja auch –, und in ganz vielen Fällen täglich funktioniert es, reicht das aber in diesen Ausnah- mesituationen eben manchmal nicht. Da ist die Polizei auf sich alleine gestellt und für so etwas auch nicht aus- gebildet. Deswegen ist es völlig richtig, dass diese Koali- tion ein Modellprojekt einführen will, bei dem multipro- fessionelle Teams mit psychologisch geschultem Perso- nal sofort mit dem Notruf anrücken und versuchen, sol- che Situationen wie zum Beispiel die am Neptunbrunnen von vornherein zu deeskalieren. Das ist eine Alternative, mit der wir in diesem Land noch viel verbessern können. Ich würde mir wünschen, das würden wir flächendeckend anbieten können.

[Beifall bei der LINKEN und den GRÜNEN]

Und ja: Das ist komplizierter, als den Taser abzudrücken, aber es ist auch weniger risikoreich und gewaltfreier. Die Welt ist eben komplizierter; Berlin ist nicht Polizei- Bullerbü, um es mal so zu sagen. In dem Sinne diskutie- ren wir gerne im Ausschuss über den Gesetzentwurf. – Vielen Dank!

Rechten Terror aufklären und Betroffene schützen!

Erläuterung des Antrags der Regierungsfraktionen auf Einsetzung eines Untersuchungsaussschusses zur Anschlagsserie in Berlin-Neukölln

 

07.04.2022

 

Transkript

Niklas Schrader (LINKE):

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Nach so vielen Jahren, in denen ich hier in diesem Haus die Innenpolitik der CDU miterleben durfte, ist mir eins klargeworden: Es gibt so eine Parallelwelt, in der die CDU lebt; in der es Gut und Böse gibt, und dazwischen gibt es eine quasi unfehlbare Polizei, die man tunlichst nicht kritisiert, die immer besonnen, aber mit der nötigen Härte handelt und das auch stets korrekt, und deswegen sollte man ihr möglichst viele Einsatzmittel geben.

[Beifall von Frank Balzer (CDU)]

Es ist ein bisschen so wie die Bullerbü-Welt bei den Grü- nen – sorry, liebe Grüne, war nicht böse gemeint; ich fand den Vergleich ganz witzig –.

[Heiterkeit bei der CDU und der FDP – Beifall bei der FDP]

So ist auch die Welt der CDU beim Taser: Da macht ein böser Mensch Probleme, dann kommt die Polizei, dann werden die Probleme und der Mensch niedergestreckt – Fall gelöst, alle glücklich. Aber wenn wir hier wirklich ernsthaft über das Thema diskutieren wollen, muss ich Ihnen schon sagen: So einfach ist die Welt nicht, und das, was Sie hier darstellen, Herr Balzer, hat mit der Wirk- lichkeit nicht viel zu tun.

[Beifall von Carsten Schatz (LINKE)]

Schauen wir uns das doch mal an. Der Probelauf in Berlin – das ist eigentlich schon gesagt worden – hat nur sehr wenige Fälle: 15, und da sind auch noch die Androhun- gen dabei. Deshalb wird es schwierig, daraus seriöse Schlüsse zu ziehen, auch wahrscheinlich bis Ende des Jahres. Deshalb muss man sich eben auch die Erfahrun- gen mit dem Taser aus anderen Bundesländern und auch außerhalb von Deutschland anschauen. Da sieht es schon weniger harmlos aus. Allein in Deutschland gab es in den vergangenen drei Jahren sechs Todesfälle im Zusammen- hang mit dem Taser. Auch in Berlin gab es schon mal einen: 2005 bei einem SEK-Einsatz ist auch jemand um- gekommen. Kreislaufstillstand, Herzinfarkt, Organversa- gen – das können so die Folgen sein, vor allen Dingen, wenn es Vorerkrankungen gibt, wenn es Konsum von Drogen gab oder Einfluss von Medikamenten. Das kommt vor, und das sind alles Dinge, von denen die Poli- zei im konkreten Einsatz, in der Situation in der Regel nichts weiß. Und da muss ich schon sagen: Der Taser ist kein harmloses Einsatzmittel, sondern das ist eine gefähr- liche Waffe, und das muss allen bewusst sein, die hier diesen Einsatz fordern. Ich finde es schon bezeichnend, dass die CDU das hier noch nicht mal erwähnt hat.

[Beifall bei der LINKEN und den GRÜNEN – Beifall von Tom Schreiber (SPD)]

Sie setzen ja auch noch einen drauf: Sie haben in Ihrem Gesetzentwurf den Taser auf eine Stufe mit dem Schlag- stock gestellt. Damit sinkt die Einsatzschwelle noch wei- ter. Kollege Franco hat es schon gesagt: Sie konterkarie- ren damit Ihr eigenes Ziel. Ich finde es unverantwortlich, das so vorzuschlagen. Das ist verharmlosend. Der Taser – auch das ist ein Irrglaube – führt auch nicht zu weniger Schusswaffengebrauch durch die Polizei. Das sehen wir auch in den USA; das wird dort ja relativ flächendeckend eingesetzt. In den letzten 20 Jahren, hat die Nachrichten- agentur Reuters zusammengefasst, gab es über 1 000 Todesfälle im Zusammenhang mit dem Taser.

In den Niederlanden hat ein Testlauf ergeben, dass der Taser mit der Zeit auch in vielen Situationen genutzt wird, die keinen Schusswaffengebrauch gerechtfertigt hätten, und oft auch gegen Unbewaffnete eingesetzt wird oder sogar gegen Menschen, die schon unter Kontrolle waren. Es besteht also durchaus die Gefahr, dass ein Gewöhnungseffekt eintritt, die Hemmschwelle immer weiter sinkt. Das ist ein weiterer Grund, warum wir sa- gen: Wir können uns diesen Probelauf in Berlin gerne anschauen, wir können gerne darüber diskutieren, auch über Rechtsgrundlagen; aber diese Fakten aus den inter- nationalen Erfahrungen können wir hier nicht ignorieren, die müssen mit auf den Tisch.

[Beifall bei der LINKEN und den GRÜNEN]

Was beim Berliner Probelauf nicht erhoben wird, ist die Frage, ob die Situationen von der Polizei nicht auch an- ders hätten gelöst werden können. – Herr Jotzo, Sie haben ja behauptet, das zu wissen. Da muss ich Ihnen wider- sprechen. – Fast immer geht es um Menschen, die sich in einem psychischen Ausnahmezustand befinden: psychi- sche Erkrankungen, Drogenkonsum und Ähnliches. Und obwohl jede Polizeidienstkraft in der Ausbildung lernt, dass das Wort die wichtigste Waffe ist – das ist völlig richtig, das stimmt ja auch –, und in ganz vielen Fällen täglich funktioniert es, reicht das aber in diesen Ausnah- mesituationen eben manchmal nicht. Da ist die Polizei auf sich alleine gestellt und für so etwas auch nicht aus- gebildet. Deswegen ist es völlig richtig, dass diese Koali- tion ein Modellprojekt einführen will, bei dem multipro- fessionelle Teams mit psychologisch geschultem Perso- nal sofort mit dem Notruf anrücken und versuchen, sol- che Situationen wie zum Beispiel die am Neptunbrunnen von vornherein zu deeskalieren. Das ist eine Alternative, mit der wir in diesem Land noch viel verbessern können. Ich würde mir wünschen, das würden wir flächendeckend anbieten können.

[Beifall bei der LINKEN und den GRÜNEN]

Und ja: Das ist komplizierter, als den Taser abzudrücken, aber es ist auch weniger risikoreich und gewaltfreier. Die Welt ist eben komplizierter; Berlin ist nicht Polizei- Bullerbü, um es mal so zu sagen. In dem Sinne diskutie- ren wir gerne im Ausschuss über den Gesetzentwurf. – Vielen Dank!

Transkript

Niklas Schrader (LINKE):

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Über vier Jahre intensiver Arbeit liegen hinter uns, und auch ich kann konstatieren, dass wir es geschafft haben, über die demokratischen Fraktionen hinweg gemeinsam die Hin- tergründe dieser schrecklichen Tat aufzuarbeiten, viele Vorgänge in den Sicherheitsbehörden aufzuarbeiten und Kontroversen kollegial und mit gegenseitigem Respekt auszutragen und dabei nie aus dem Blick zu verlieren, dass wir es mit einem Terroranschlag mit zwölf Toten, mit vielen Verletzten und Traumatisierten zu tun haben, dass wir den aufzuklären hatten und dass das eine riesengroße Verantwortung ist. Dafür auch von mir noch einmal vielen Dank an die Kolleginnen und Kollegen der demokratischen Fraktionen, an das Ausschussbüro und auch an die Menschen in der Verwaltung, die dazu beige- tragen haben!

[Beifall bei der LINKEN Vereinzelter Beifall bei der SPD, der CDU, den GRÜNEN und der FDP]

Ich bin froh, dass wir heute keinen Sicherheitsbehörden- entlastungsbericht vorlegen. Unsere Aufgabe war es ja nicht, uns schützend vor Polizei, Verfassungsschutz und Staatsanwaltschaft zu stellen, sondern ihr Handeln kri- tisch zu hinterfragen. Wir haben im gemeinsamen Bericht die Fehler, die gemacht wurden, und die Defizite, die behoben werden müssen, klar benannt. Ich finde, das war Teil unserer Verantwortung, und dieser Verantwortung sind wir auch gerecht geworden.

Meine Fraktion hat mit vielen Änderungsanträgen, die auch übernommen wurden, diesen Bericht mitgeprägt; wir legen dennoch ein Sondervotum gemeinsam mit diesem Bericht vor, weil wir mit einigen zentralen Fest- stellungen und Schlussfolgerungen über den gemeinsa- men Bericht hinausgehen. Hier möchte ich ein paar Punk- te aufgreifen: Ich will zum Beispiel in Erinnerung rufen, wie schnell und reflexhaft nach dem Anschlag eine De- batte entstanden ist über neue Befugnisse und neue Grundrechtseinschränkungen. Da wurden plötzlich For- derungskataloge aus den Schubladen gezogen, die über elektronische Fußfesseln bis hin zu Videoüberwachung alles Mögliche enthalten haben, auch Dinge, die gar nichts mit Terror zu tun haben. Das war vor jeder Aufklä- rung, und jetzt, danach, steht fest: Dieser Untersuchungs- ausschuss hat gründlich und eindeutig belegt, dass in vielen Punkten bereits bestehende Befugnisse und Mög- lichkeiten nicht umfassend genutzt wurden.

Da will ich Ihnen gern ein paar Beispiele nennen: Amris Telefone wurden abgehört, er hatte Telegram-Accounts, die zeitweise überwacht wurden, aber die Daten wurden nicht ausreichend ausgewertet. Schon im Februar 2016, lange vor dem Anschlag, hat die Polizei ein Handy von Amri beschlagnahmt. Da waren Fotos drauf, die ihn mit einer Kalaschnikow zeigen; das wurde bei der Berliner Polizei nicht gefunden. Es hat verschiedene Observatio- nen gegeben, man hat Amri mit Personen beobachtet, von denen wir jetzt im Nachhinein wissen: Das waren wirk- lich relevante Personen aus der dschihadistischen Szene in Berlin, aber die wurden nicht weiter identifiziert. Eine gerichtlich angeordnete Observation endete plötzlich Mitte 2016, da ist Amri vom Radar verschwunden, wir wissen nicht genau, warum. Die Staatsanwaltschaft hat das im Grunde auch nicht weiter interessiert, die hat nicht nachgehakt, obwohl sie für die Verfahrensleitung verant- wortlich war.

Es wurde hier schon gesagt: Amris Gefährlichkeit wurde von den Behörden falsch eingeschätzt, weil er sich ins

Drogenmilieu bewegt hat. Ja, das war eine falsche Ein- schätzung, aber wir sagen auch: Die nötigen Informatio- nen für eine bessere, eine korrektere Einschätzung wur- den erhoben oder hätten erhoben werden können.

[Beifall bei der LINKEN Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN]

Deswegen ist eine unserer Forderungen: Bevor wir über neue Instrumente, Überwachungsinstrumente, Grund- rechtseinschränkungen reden, brauchen wir eine systema- tische Evaluation der bestehenden Befugnisse und ihrer Kosten und Nutzen. Es war richtig, dass diese Koalition sich nicht hat verleiten lassen und mit der Änderung des ASOG und anderen Maßnahmen die Polizeiarbeit verbes- sert hat, aber gleichzeitig die Bürgerrechte und die Frei- heitsrechte in dieser Stadt gestärkt hat.

[Beifall bei der LINKEN Beifall von Benedikt Lux (GRÜNE)]

Jetzt sagen viele, die Fehler lagen vor allem am Perso- nalmangel. Ja, das stimmt. Es gab eine prekäre Perso- nalsituation, insbesondere in einigen Bereichen beim LKA, und ja, die Koalition hat diese Situation deutlich verbessert. Ja, das war richtig, und das wird auch dazu beitragen, die Gefahren durch Terrorismus schneller und besser zu erkennen, aber ich möchte davor warnen zu denken, dass allein mehr Personal diese Defizite, die wir festgestellt haben, beheben kann. Deshalb sagen wir ganz klar: Es müssen auch Defizite in der Informationssteue- rung, in der Dokumentation, in der Aktenführung, in der Prioritätensetzung und vor allem auch in der demokrati- schen Kontrolle in der Fachaufsicht behoben werden. Nur dann können wir die Arbeit des LKA wirklich verbessern. Wir sind da auf einem guten Weg, aber ich glaube, da haben wir noch viel vor uns.

[Beifall bei der LINKEN Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN]

Jetzt möchte ich noch einmal auf den Verfassungsschutz zu sprechen kommen. Wir haben hier ein Muster erlebt, das wir schon kennen: Erst wird versucht, sich aus der Schusslinie zu nehmen. Wir kennen alle diesen Spruch von Hans-Georg Maaßen die Älteren werden sich erin- nern, damals Präsident des Bundesamtes für Verfas- sungsschutz, heute eher so eine Art Schreckgespenst ,

[Heiterkeit bei der LINKEN]

der Amri sei ein reiner Polizeifall gewesen. So dreist gelogen hat man jetzt beim Berliner Verfassungsschutz nicht, aber auch die haben versucht, erst mal zu signali- sieren: Wir haben mit der ganzen Sache im Grunde nichts zu tun.

Dann kommt durch die Arbeit der Untersuchungsaus- schüsse oder durch investigativen Journalismus heraus, dass die Ämter sehr wohl einen tiefen Einblick in die Szene hatten. Sowohl das Bundesamt als auch der Berli- ner Verfassungsschutz hatten V-Personen in Amris enge- rem Umfeld. Trotzdem hat dieses sogenannte Frühwarnsystem nicht funktioniert. Dann müssen wir hinter- her feststellen, dass der sogenannte Quellen- und Metho- denschutz die Aufklärung dann auch massiv behindert. Das war wirklich ein richtig zähes Ringen um Akten und Informationen. Beim Berliner Verfassungsschutz wurden dann sogar Monate nach dem Anschlag Fotos, die Anis Amri zeigen, irgendwo in einem Panzerschrank gefun- den. Darüber wird dann nicht einmal das Abgeordneten- haus informiert, nicht mal der Ausschuss für Verfas- sungsschutz und nicht der Untersuchungsausschuss. Das, sage ich, ist eine Missachtung der Parlamentsrechte, die gar nicht geht. Das geht leider auch auf Ihr Konto, Herr Innensenator!

[Beifall bei der LINKEN Vereinzelter Beifall bei den Grünen]

Aber eins ist für uns völlig klar, und das stellen wir in unserem Sondervotum auch noch mal heraus: Dieses Auftreten der Geheimdienste erst mal das Negieren, dann das sich in gewisser Weise Abschotten, Erkenntnis- se zurückzuhalten, Aufklärung zu behindern ist ja nicht einfach Bösartigkeit. Das ist systemimmanent. Das hängt damit zusammen, wie diese Dienste arbeiten, mit den Methoden, die sie anwenden. Das wiederholt sich. Wir hatten das beim NSU ja auch schon erlebt. Deswegen sagen wir: Wir brauchen nach wie vor eine grundsätzli- che Debatte über die Geheimdienste, über ihre Methoden und darüber, was an ihre Stelle treten kann, um dieses Land sicherer zu machen.

[Beifall bei der LINKEN Beifall von Sabine Bangert (GRÜNE]

Wir schließen diese Arbeit nun ab. Ich würde sie auch als erfolgreich bezeichnen, auch wenn noch sehr viele Fra- gen offen sind. Es gibt viele lose Fäden, denen wir ei- gentlich gerne noch nachgehen würden; insbesondere natürlich die Frage ist hier schon angesprochen wor- den , welche Helfer Amri hatte oder ob ein Netzwerk hinter ihm steht. Ja, dafür gibt es Indizien; noch keine Beweise, aber Indizien. Amri traf sich bis zuletzt mit Kontaktpersonen aus der salafistischen Szene. Es gibt DNA-Spuren im Lkw-Führerhaus, die noch nicht geklärt worden sind. Es gab vom Verfassungsschutz Mecklen- burg-Vorpommern Hinweise darauf, dass Amri möglich- erweise Fluchthelfer aus Berlin hatte. Es gibt also Dinge, denen man noch weiter nachgehen muss. Aber der Ball liegt jetzt, wo die Untersuchungsausschüsse ihre Arbeit beendet haben, bei der Generalbundesanwaltschaft. Das ist einfach die einzige Institution, wo die Fäden jetzt zusammenlaufen müssen, wo die Erkenntnisse von Un- tersuchungsausschüssen, Ermittlungsbehörden und auch Geheimdiensten zusammenkommen können.

Vorsichtig gesagt: Ich bin nicht wirklich optimistisch, weil die Erfahrung mit dem NSU gezeigt hat, dass dort nicht unbedingt die Neigung besteht, Netzwerke breit zu ermitteln und aufzuarbeiten und dabei auch die Geheim- dienste in die Pflicht zu nehmen. Aber ich sage: Genau das ist jetzt bitter nötig, und ich finde, das sind wir den Opfern und Hinterbliebenen schuldig.

[Beifall bei der LINKEN Vereinzelter Beifall bei den Grünen]

Insofern war das mein Schlussappell. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit!

[Beifall bei der LINKEN
Vereinzelter Beifall bei der SPD und bei den Grünen]

Terroranschlag Breitscheidplatz – Versäumnisse von Polizei und Verfassungsschutz

 

Redebeitrag zum Bericht zur Untersuchung des Ermittlungsvorgehens im Zusammenhang mit dem Terroranschlag am Breitscheidplatz am 19. Dezember 2016

 

19.08.2021

 

Transkript

Niklas Schrader (LINKE):

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Über vier Jahre intensiver Arbeit liegen hinter uns, und auch ich kann konstatieren, dass wir es geschafft haben, über die demokratischen Fraktionen hinweg gemeinsam die Hin- tergründe dieser schrecklichen Tat aufzuarbeiten, viele Vorgänge in den Sicherheitsbehörden aufzuarbeiten und Kontroversen kollegial und mit gegenseitigem Respekt auszutragen und dabei nie aus dem Blick zu verlieren, dass wir es mit einem Terroranschlag mit zwölf Toten, mit vielen Verletzten und Traumatisierten zu tun haben, dass wir den aufzuklären hatten und dass das eine riesengroße Verantwortung ist. Dafür auch von mir noch einmal vielen Dank an die Kolleginnen und Kollegen der demokratischen Fraktionen, an das Ausschussbüro und auch an die Menschen in der Verwaltung, die dazu beige- tragen haben!

[Beifall bei der LINKEN Vereinzelter Beifall bei der SPD, der CDU, den GRÜNEN und der FDP]

Ich bin froh, dass wir heute keinen Sicherheitsbehörden- entlastungsbericht vorlegen. Unsere Aufgabe war es ja nicht, uns schützend vor Polizei, Verfassungsschutz und Staatsanwaltschaft zu stellen, sondern ihr Handeln kri- tisch zu hinterfragen. Wir haben im gemeinsamen Bericht die Fehler, die gemacht wurden, und die Defizite, die behoben werden müssen, klar benannt. Ich finde, das war Teil unserer Verantwortung, und dieser Verantwortung sind wir auch gerecht geworden.

Meine Fraktion hat mit vielen Änderungsanträgen, die auch übernommen wurden, diesen Bericht mitgeprägt; wir legen dennoch ein Sondervotum gemeinsam mit diesem Bericht vor, weil wir mit einigen zentralen Fest- stellungen und Schlussfolgerungen über den gemeinsa- men Bericht hinausgehen. Hier möchte ich ein paar Punk- te aufgreifen: Ich will zum Beispiel in Erinnerung rufen, wie schnell und reflexhaft nach dem Anschlag eine De- batte entstanden ist über neue Befugnisse und neue Grundrechtseinschränkungen. Da wurden plötzlich For- derungskataloge aus den Schubladen gezogen, die über elektronische Fußfesseln bis hin zu Videoüberwachung alles Mögliche enthalten haben, auch Dinge, die gar nichts mit Terror zu tun haben. Das war vor jeder Aufklä- rung, und jetzt, danach, steht fest: Dieser Untersuchungs- ausschuss hat gründlich und eindeutig belegt, dass in vielen Punkten bereits bestehende Befugnisse und Mög- lichkeiten nicht umfassend genutzt wurden.

Da will ich Ihnen gern ein paar Beispiele nennen: Amris Telefone wurden abgehört, er hatte Telegram-Accounts, die zeitweise überwacht wurden, aber die Daten wurden nicht ausreichend ausgewertet. Schon im Februar 2016, lange vor dem Anschlag, hat die Polizei ein Handy von Amri beschlagnahmt. Da waren Fotos drauf, die ihn mit einer Kalaschnikow zeigen; das wurde bei der Berliner Polizei nicht gefunden. Es hat verschiedene Observatio- nen gegeben, man hat Amri mit Personen beobachtet, von denen wir jetzt im Nachhinein wissen: Das waren wirk- lich relevante Personen aus der dschihadistischen Szene in Berlin, aber die wurden nicht weiter identifiziert. Eine gerichtlich angeordnete Observation endete plötzlich Mitte 2016, da ist Amri vom Radar verschwunden, wir wissen nicht genau, warum. Die Staatsanwaltschaft hat das im Grunde auch nicht weiter interessiert, die hat nicht nachgehakt, obwohl sie für die Verfahrensleitung verant- wortlich war.

Es wurde hier schon gesagt: Amris Gefährlichkeit wurde von den Behörden falsch eingeschätzt, weil er sich ins

Drogenmilieu bewegt hat. Ja, das war eine falsche Ein- schätzung, aber wir sagen auch: Die nötigen Informatio- nen für eine bessere, eine korrektere Einschätzung wur- den erhoben oder hätten erhoben werden können.

[Beifall bei der LINKEN Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN]

Deswegen ist eine unserer Forderungen: Bevor wir über neue Instrumente, Überwachungsinstrumente, Grund- rechtseinschränkungen reden, brauchen wir eine systema- tische Evaluation der bestehenden Befugnisse und ihrer Kosten und Nutzen. Es war richtig, dass diese Koalition sich nicht hat verleiten lassen und mit der Änderung des ASOG und anderen Maßnahmen die Polizeiarbeit verbes- sert hat, aber gleichzeitig die Bürgerrechte und die Frei- heitsrechte in dieser Stadt gestärkt hat.

[Beifall bei der LINKEN Beifall von Benedikt Lux (GRÜNE)]

Jetzt sagen viele, die Fehler lagen vor allem am Perso- nalmangel. Ja, das stimmt. Es gab eine prekäre Perso- nalsituation, insbesondere in einigen Bereichen beim LKA, und ja, die Koalition hat diese Situation deutlich verbessert. Ja, das war richtig, und das wird auch dazu beitragen, die Gefahren durch Terrorismus schneller und besser zu erkennen, aber ich möchte davor warnen zu denken, dass allein mehr Personal diese Defizite, die wir festgestellt haben, beheben kann. Deshalb sagen wir ganz klar: Es müssen auch Defizite in der Informationssteue- rung, in der Dokumentation, in der Aktenführung, in der Prioritätensetzung und vor allem auch in der demokrati- schen Kontrolle in der Fachaufsicht behoben werden. Nur dann können wir die Arbeit des LKA wirklich verbessern. Wir sind da auf einem guten Weg, aber ich glaube, da haben wir noch viel vor uns.

[Beifall bei der LINKEN Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN]

Jetzt möchte ich noch einmal auf den Verfassungsschutz zu sprechen kommen. Wir haben hier ein Muster erlebt, das wir schon kennen: Erst wird versucht, sich aus der Schusslinie zu nehmen. Wir kennen alle diesen Spruch von Hans-Georg Maaßen die Älteren werden sich erin- nern, damals Präsident des Bundesamtes für Verfas- sungsschutz, heute eher so eine Art Schreckgespenst ,

[Heiterkeit bei der LINKEN]

der Amri sei ein reiner Polizeifall gewesen. So dreist gelogen hat man jetzt beim Berliner Verfassungsschutz nicht, aber auch die haben versucht, erst mal zu signali- sieren: Wir haben mit der ganzen Sache im Grunde nichts zu tun.

Dann kommt durch die Arbeit der Untersuchungsaus- schüsse oder durch investigativen Journalismus heraus, dass die Ämter sehr wohl einen tiefen Einblick in die Szene hatten. Sowohl das Bundesamt als auch der Berli- ner Verfassungsschutz hatten V-Personen in Amris enge- rem Umfeld. Trotzdem hat dieses sogenannte Frühwarnsystem nicht funktioniert. Dann müssen wir hinter- her feststellen, dass der sogenannte Quellen- und Metho- denschutz die Aufklärung dann auch massiv behindert. Das war wirklich ein richtig zähes Ringen um Akten und Informationen. Beim Berliner Verfassungsschutz wurden dann sogar Monate nach dem Anschlag Fotos, die Anis Amri zeigen, irgendwo in einem Panzerschrank gefun- den. Darüber wird dann nicht einmal das Abgeordneten- haus informiert, nicht mal der Ausschuss für Verfas- sungsschutz und nicht der Untersuchungsausschuss. Das, sage ich, ist eine Missachtung der Parlamentsrechte, die gar nicht geht. Das geht leider auch auf Ihr Konto, Herr Innensenator!

[Beifall bei der LINKEN Vereinzelter Beifall bei den Grünen]

Aber eins ist für uns völlig klar, und das stellen wir in unserem Sondervotum auch noch mal heraus: Dieses Auftreten der Geheimdienste erst mal das Negieren, dann das sich in gewisser Weise Abschotten, Erkenntnis- se zurückzuhalten, Aufklärung zu behindern ist ja nicht einfach Bösartigkeit. Das ist systemimmanent. Das hängt damit zusammen, wie diese Dienste arbeiten, mit den Methoden, die sie anwenden. Das wiederholt sich. Wir hatten das beim NSU ja auch schon erlebt. Deswegen sagen wir: Wir brauchen nach wie vor eine grundsätzli- che Debatte über die Geheimdienste, über ihre Methoden und darüber, was an ihre Stelle treten kann, um dieses Land sicherer zu machen.

[Beifall bei der LINKEN Beifall von Sabine Bangert (GRÜNE]

Wir schließen diese Arbeit nun ab. Ich würde sie auch als erfolgreich bezeichnen, auch wenn noch sehr viele Fra- gen offen sind. Es gibt viele lose Fäden, denen wir ei- gentlich gerne noch nachgehen würden; insbesondere natürlich die Frage ist hier schon angesprochen wor- den , welche Helfer Amri hatte oder ob ein Netzwerk hinter ihm steht. Ja, dafür gibt es Indizien; noch keine Beweise, aber Indizien. Amri traf sich bis zuletzt mit Kontaktpersonen aus der salafistischen Szene. Es gibt DNA-Spuren im Lkw-Führerhaus, die noch nicht geklärt worden sind. Es gab vom Verfassungsschutz Mecklen- burg-Vorpommern Hinweise darauf, dass Amri möglich- erweise Fluchthelfer aus Berlin hatte. Es gibt also Dinge, denen man noch weiter nachgehen muss. Aber der Ball liegt jetzt, wo die Untersuchungsausschüsse ihre Arbeit beendet haben, bei der Generalbundesanwaltschaft. Das ist einfach die einzige Institution, wo die Fäden jetzt zusammenlaufen müssen, wo die Erkenntnisse von Un- tersuchungsausschüssen, Ermittlungsbehörden und auch Geheimdiensten zusammenkommen können.

Vorsichtig gesagt: Ich bin nicht wirklich optimistisch, weil die Erfahrung mit dem NSU gezeigt hat, dass dort nicht unbedingt die Neigung besteht, Netzwerke breit zu ermitteln und aufzuarbeiten und dabei auch die Geheim- dienste in die Pflicht zu nehmen. Aber ich sage: Genau das ist jetzt bitter nötig, und ich finde, das sind wir den Opfern und Hinterbliebenen schuldig.

[Beifall bei der LINKEN Vereinzelter Beifall bei den Grünen]

Insofern war das mein Schlussappell. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit!

[Beifall bei der LINKEN
Vereinzelter Beifall bei der SPD und bei den Grünen]

Rigaer Straße – Brandschutz als Vorwand für Räumungsfantasien

 

Redebeitrag zum CDU-Antrag „Rigaer Straße 94: Geltendes Recht durchsetzen, Gefahr für Leib und Leben abwenden“

 

03.06.2021

 

Mehr Bürger*innenrechte und wirksame Mittel gegen Racial Profiling durch die ASOG Novelle

 

Redebeitrag in der Debatte über die Novelle des Allgemeinen Sicherheits- und Ordnungsgesetzes 

 

11.03.2021

 

Rückwärtsgewandte Drogenpolitik der CDU – Prohibition statt Aufklärung 

 

Redebeitrag zum CDU-Antrag „Internationale Vernetzung beim Kampf gegen Drogenmissbrauch – Beitritt Berlins zum Bündnis ‚Europäische Städte gegen Drogen'“ 

 

11.02.2021

 

Zur Hufeisen-Propaganda und Hetze der AfD 

 

Redebeitrag zum zum AfD-Antrag „Beseitigung des Ungleichgewichts im Kampf gegen politischen Extremismus“

 

11.02.2021

 

Verfassungsschutz – nicht Teil der Lösung sondern Teil des Problems 

 

Redebeitrag zum Dringlichen Antrag der AfD-Fraktion „Missbilligung des Senators Andreas Geisel“

 

28.01.2021

 

Ein guter Tag für die Bürgerrechte 

 

Begründung des Entwurfs für das „Gesetz zur Einführung des oder der Bürgerbeauftragten des Landes Berlin und des oder der Beauftragten für die Polizei Berlin“ von SPD, Linken und Grünen.

 

19.11.2020

 

Transkript

Niklas Schrader (LINKE):

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe CDU- Fraktion! Sie fordern in Ihrem Antrag den Senat auf, im Rahmen der Bezirksaufsicht diesen ganzen Vorgang zu prüfen, und das tut er bereits, wie der Senator heute in der Fragestunde schon erklärt hat.

[Heiko Melzer (CDU): Schon mal eins erreicht!]

Insofern hat sich der Antrag durch Handeln des Senats erledigt, denn Sie fordern nicht, dass er die Polizei ruft und sofort da einreitet, sondern Sie fordern, dass er prü- fen soll. Ihre Rede hat sich eher so angehört, als hätten Sie persönlich diese Prüfung der Bezirksaufsicht schon abgeschlossen.

[Zuruf von Burkard Dregger (CDU)]

Wenn wir hier wirklich so abstimmen sollen, wie Sie es wollen, dann hätten Sie etwas anderes fordern müssen.

Es geht hier um die Frage, inwieweit das Bezirksamt hätte vorgehen müssen angesichts der bekannt geworde- nen Mängel. Ich glaube, es steht außer Zweifel, dass es dort Mängel beim Brandschutz gegeben hat in der Rigaer Straße 94. Ich glaube aber, die Frage ist noch offen, wie groß diese waren und inwieweit wirklich Gefahr im Ver- zug bestand, inwieweit die Wohnungen dadurch unbewohnbar werden. Das ist auch nach der medialen Be- richterstattung nicht ganz klar.

Vizepräsidentin Dr. Manuela Schmidt:

Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Woldeit?

Niklas Schrader (LINKE): Nein!

[Paul Fresdorf (FDP): Ich habe ja noch gar nicht richtig ausgeführt!]

Ebenso wenig ist klar, inwieweit nach Gesprächen mit dem Anwalt der Bewohnerschaft Mängel behoben wor- den sind und inwieweit das dokumentiert ist, aber das wird nun geprüft. Ein zentrales Problem lassen Sie, Herr Dregger, und viele andere auch, gerne unter den Tisch fallen. Für die Beseitigung baulicher Mängel ist zuallererst der Eigentümer verantwortlich.

[Beifall bei der LINKEN
Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN Burkard Dregger (CDU): Ja, der will ja! Karsten Woldeit (AfD): Er kommt ja nicht ins Haus!]

Und es steht fest, Herr Dregger, der muss zuallererst vom Bezirksamt in Anspruch genommen werden, aber für dieses Haus gibt es keinen nachgewiesenen Eigentümer.

[Burkard Dregger (CDU): Der steht im Grundbuch! Zuruf von Karsten Woldeit (AfD)]

Viermal hat der selbsternannte Eigentümeranwalt es vor Gericht versucht. Viermal konnte das Gericht nicht fest- stellen, wer hinter der Briefkastenfirma „Lafone Invest- ment“ steht. Viermal hat das Gericht festgestellt, dass die Vertretungsberechtigung nicht geklärt ist. Viermal gab es keinen Vollstreckungstitel für irgendeine Maßnahme. Da steht das Bezirksamt vor einem zentralen Problem. Das dürfen Sie nicht unter den Tisch fallen lassen, nämlich, wenn es gegen Brandschutzmängel vorgehen will, dann muss es gegen einen Eigentümer vorgehen, den es nicht gibt.

[Beifall bei der LINKEN Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN]

Bei aller berechtigten Kritik, bei aller berechtigten Empö- rung über das Verhalten der Bewohnerschaft oder Teilen davon in diesem Haus sich als angeblicher Vertreter eines Eigentümers hinzustellen oder als angeblich beauftragte Hausverwaltung, und zu beklagen, dass man nicht ins Haus kommt und dass einem die Behörden dabei nicht helfen, aber gleichzeitig die Eigentumsverhältnisse vor Gericht nicht offen zu legen, das ist ein unehrliches Spiel, finde ich.

[Beifall bei der LINKEN Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN]

1. Oktober 2020

Und wer an einem Tag nach dem Rechtsstaat ruft, der kann mich am nächsten fordern, ihn zu umgehen, wenn es ihm gerade in den Kram passt.

[Burkard Dregger (CDU): Alles Ausflüchte, damit man nichts tun muss!]

Deswegen sage ich: Wenn es Leute gibt, die tatsächlich berechtigt sind, über dieses Haus zu verfügen, dann sol- len sie bitte die Karten auf den Tisch legen, zum Gericht gehen und sich einen Titel holen. Das kann ja wohl nicht so schwer sein, wenn alles mit rechten Dingen zugeht.

[Beifall bei der LINKEN Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN]

Ohne Titel reingehen, so wie Sie jetzt geklungen haben, Herr Dregger das hat Herr Henkel schon probiert, und das ist bekanntlich vom Gericht als rechtswidrig festge- stellt worden.

[Burkard Dregger (CDU): Stimmt nicht! Ist auch eine Legende!]

Dieses Problem können Sie nicht wegdiskutieren und auch nicht unter den Tisch fallen lassen. Wenn der Bezirk keinen Ansprechpartner hat auf Eigentümerseite, dann bleibt ihm die Möglichkeit, selbst vorzugehen und sich Zugang zum Haus zu verschaffen, mit Amtshilfe und allem Drum und Dran.

[Burkard Dregger (CDU): Im nächsten Jahrhundert!]

Aber das muss auch nach einem rechtsstaatlichen Vorge- hen ablaufen, und das ist eine Ermessensentscheidung, in die viele Aspekte einfließen, unter anderem die Verhält- nismäßigkeit. Das hat das Bezirksamt getan, und ob es das richtig getan hat, wird, wie gesagt, geprüft, wie uns der Innensenator gesagt hat.

[Stefan Evers (CDU): Einfach verantwortungslos!]

Da ist es natürlich möglich, dass die Ermessensentschei- dung anders ausgefallen ist, als die CDU-Fraktion es sich vorstellt. Aber das alleine kann kein Grund sein, die Ent- scheidung zu revidieren.

[Beifall bei der LINKEN Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN]

Der ganze Vorgang wird geprüft; der Innensenator hat das gesagt.

[Burkard Dregger (CDU): Super!]

Wir können auf das Ergebnis gespannt sein, und bis dahin würde ich allen raten, Ihnen ganz besonders, Herr Dreg- ger, da mal ein bisschen abzurüsten. Vielen Dank!

[Beifall bei der LINKEN Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN Burkard Dregger (CDU): Tiefschlag! – Hakan Taş (LINKE): Herr Dregger! Von wem haben Sie denn die Akte gesteckt bekommen?]

Rigaer Straße – Eigentumsverhältnisse und rechtsstaatliches Vorgehen 

 

Redebeitrag in der Debatte über den Antrag „Geltendes Recht durchsetzen“ der CDU-Fraktion

 

01.10.2020

 

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